Berg.Werk

Der alpine Massentourismus wäre undenkbar ohne massive Eingriffe in die Landschaft. Pisten werden aufgeschüttet, planiert, wenn nötig werden Felsen weggesprengt. Statt mit Naturlandschaft haben wir es mit einer durch massive Eingriffe höchst gestalteten, konstruierten Landschaft zu tun. Straßen wie Geländeaufschüttungen oder Abtragungen lesen sich als tiefe Einschreibungen in das Gebirge. Große Gebiete des Alpenraums haben sich zu Industriezonen mit aberhunderten Kilometern meist künstlich angelegter Pisten, zahllosen “Aufstiegshilfen” wie trostlosen Hotelansammlungen gewandelt. Nach wie vor scheuen sich Politiker und Tourismusmanager, dies so zu benennen. Im Widerspruch zum Faktischen ist denn auch in Broschüren alpiner Fremdenverkehrswerbung das Gegenteil zu lesen: “Vision. Wir sind ein lebender Teil der Erde. Wir wissen, daß wir die Erde nicht verletzen können, ohne uns selbst zu schaden. Wenn wir das verstehen, verstehen wir das Leben.”

Es wäre viel gewonnen, würde man diese Landschaften als das bezeichnen, was sie sind, nämlich Industriezonen. In dieser Serie sind nicht nur brachiale Landschaftseingriffe zu sehen. In einer ironischen Brechung liegen die Elemente einer neuen Seilbahn wie riesige Glieder von Insekten in alpinem Gelände, haben sich anlässlich eines Konzertes der Kastelruther Spatzen auf einer Wiese zahllose Busse zu einer Wagenburg formiert. Nicht die Veranstaltung ist zu sehen, auf diese wird über eine Massenansammlung an einem anderen Ort verwiesen. Was Hechenblaikner fotografiert, spielt sich am Rande des Geschehens ab, ist zeitlich vor- oder nachgeordnet, zeigt also nicht den Akt der Einschreibung selbst, sondern die Spuren, die bleiben. Während Margherita Spiluttinis Arbeiten stets in der Horizontalen und Vertikalen verankert sind und so geradezu monumental wirken, schert Hechenblaikners fotografischer Blick ständig aus, und zwar räumlich wie zeitlich. Er dokumentiert nicht das Konzert der Zillertaler Schürzenjäger in Finkenberg, sondern das Gelände danach. Da ist vor allem Müll zu sehen. Kühlschränke und Bierfässer stehen wie groteske Fremdkörper im fast menschenleeren Gelände. Die Eingriffe in die alpine Landschaft sind während des Winters nur bedingt zu sehen. Man muss Schigebiete während des Sommers begehen, Wintersportorte im August aufsuchen. Während des Sommers sehen wir wüste, verwüstete Landschaften, und die während des Winters höchst belebten Orte wirken nun trostlos. Angesichts solch menschenleerer Orte kann einem das Gefühl überfallen, als seien die Menschen abgewandert, als habe man den Ort sich selbst überlassen, dem Verfall preisgegeben. Der fotografische Blick legt das Skelett von Wintersportidyllen frei, die eigentlichen Strukturen treten in beredter Weise in den Fordergrund.

Hechenblaikner betreibt Spurensicherung in bester Manier. Spurensicherung bedarf eines umfassenden Wissens und einer entsprechenden Neugier. Da ist auch die Präsentation einer Kunstschneemaschine, die auch noch bei 1 Grad plus noch Schnee zu erzeugen vermag, von Interesse. Jede dieser Aufnahmen mag für sich allein stehen. Aber es gäbe sie alle nicht, ohne ein grundlegendes Interesse für die Entwicklungen des alpinen Massentourismus. Es sind obsessive Fotos, die mehr sind als formal perfekt.

 

Bernhard Kathan, geboren 1953 in Fraxern, Vorarlberg. Lebt als Künstler, Autor und Kulturhistoriker in Innsbruck. Buchveröffentlichungen (Auswahl): Stille (2012), Hungerkünstler (2010), Schöne neue Kuhstallwelt (2009), Das indiskrete Organ. Organverpflanzungen in der Literatur (2008), Nichts geht verloren (2006), Strick, Badeanzug, Besamungsset. Ein Nachruf auf die kleinbäuerliche Kultur (2006), Zum Fressen gern. Zwischen Haustier und Schlachthof (2003).